Ein besonderer Stadtbaustein

Der Neubau der Galerie Abtart in Stuttgart- Möhringen lässt der Kunst viel Raum und überrascht mit einem tief liegenden Skulpturenhof.

von Hans-Jürgen Breuning, Stuttgarter Zeitung vom 19.09.2009

 

Zwei große, bronzefarbene Boxen ragen aus dem Obergeschoss in den Straßenraum, ein massiver Baukörper, umhüllt mit schwarzem Klinker und hellen Mörtelfugen, stellt sich selbstbewusst an eine vielbefahrene Straßenkreuzung. Gerade so, als wolle dieses neue, kantige Haus seinen Nachbarn mit ihren braven Satteldächern zurufen: „Seht her, es geht auch ganz anders!“ So neu und formal abgelöst von ihrem Kontext präsentiert sich die Galerie Abtart in Stuttgart-Möhringen. Fast könnte man vergessen, dass gerade diese Galerie zuvor in einem der eher schlichten Nachbarhäuser beheimatet war. Auch hinter einer Klinkerfassade, doch weit mehr in einem konventionellen Wohnhaus als in einer echten Galerie.

 

Dies hat sich nun deutlich geändert. Die Kunstsammlerin Karin Abt-Straubinger hat das zuvor mit einem älteren Haus besetzte Grundstück erworben und durch einen markanten Neubau mit Flachdach ersetzt. Jetzt braucht es keinen zweiten Blick mehr, um festzustellen, dass es sich bei dem vom Gerlinger Büro Nixdorf Architekten und Ingenieure konzipierten Haus um einen besonderen Stadtbaustein handelt. Dieser versteht sich zwar als gebaute Skulptur, doch wirklich aufregen will er nicht. Nein, er will einfach ein Haus für einen spezifischen Nutzen an einem spezifischen Ort sein. Nicht mehr und nicht weniger.

 

Ein großes, gläsernes Entree an der Rembrandtstraße lenkt die Besucher in den Innenraum. Lichtgrauer Estrich und schneeweiß verputzte Wände, satinierte Glasscheiben und schlanke Sichtbetonstützen bespielen diesen Raum für zeitgenössische Kunst und suchen bewusst die Nähe zur Werkstattatmosphäre. Innen überrascht der außen so plastisch gestaffelte Baukörper durch seine auffallend homogene Gestaltung. Selbst die im Stadtraum so präsenten, bronzefarbenen Boxen im Obergeschoss sind nun plötzlich verschwunden. Stattdessen wird der Blick des Eintretenden in die Diagonale auf eine große weiß verputzte Wandscheibe und weiter nach hinten in Richtung des Skulpturenhofs fokussiert.

 

Trotz der wichtigen Beziehung zum Außenraum, der sich in den gezielt gesetzten, raumhohen Glasscheiben manifestiert, erscheint das Interieur merklich anders als das skulpturale Äußere. Räumlich gibt es innen wenig Spektakuläres: kein Deckendurchbruch, der einen opulenten Luftraum frei geben würde, keine gewagten Auskragungen oder gar versetzte Ebenen, vielmehr eine vertraute, klare Trennung zwischen den Geschossen. Es geht nicht um Selbstinszenierung, sondern um gut belichtete, nutzbare Ausstellungsflächen.

 

Eine einläufige Treppe führt hinter der großen Wandscheibe, die sich durch eine breite Glasfuge am Boden und in der Decke absetzt, nach oben in einen nahezu identischen Raum. Die Besucher können die Kunstwerke im „free flow“ erleben. Erst im Obergeschoss entfalten auch die großen Fensterscheiben der Schaukästen ihre Raumwirkung – ohne jedoch in ähnlicher Prägnanz wie außen als Boxen ablesbar zu werden. „Am meisten freue ich mich auf das tolle Licht“, erklärt die stolze Galeristin. Wer nach dem Betreten des Neubaus erst einmal den Weg nach unten sucht, kann diese Freude am besten teilen. Dieser größte und atmosphärisch dichteste Raum im Tiefparterre des Hauses wird durch den rückwärtigen Skulpturenhof optisch erweitert und beeindruckt durch seine eigenständige Lichtstimmung.

 

Bei diesem „Eintauchen in die Kunst“ kommen Offenheit und Geschlossenheit, außen und innen, oben und unten wie an keiner anderen Stelle des Hauses zusammen. Nicht nur bei den Vernissagen wird dieser Raum viele Besucher überraschen, zumal dieses „Kunststück“ von außen nahezu unsichtbar ist.

 

Mit dem 2,8 Millionen Euro teuren Neubau hat die Galerie Abtart ein deutliches Ausrufezeichen gesetzt. Durch die plastische Kubatur ist eine Architektur entstanden, die der Kunst Raum lässt, sie nicht zwanghaft übertrumpfen möchte, sondern mit ihr eine gute Balance findet. Von der räumlichen Finesse der einfachen geometrischen Form, wie sie sich etwa in der Sammlung Götz in München von Herzog und de Meuron artikuliert, ist sie ebenso weit entfernt wie von der skulpturalen Expressivität eines Vitra-Design-Museums von Frank O. Gehry. Der Neubau beschreitet vielmehr einen gestalterischen Mittelweg, der gleichwohl selbstsicher einen neuen Ort in der Stadt definiert.